Hungersnot in Gaza: Kommt endlich Hilfe?
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Zu wenig, zu spät – so lässt sich die humanitäre Hilfe für Gaza aktuell zusammenfassen. Die Lage im Gazastreifen verschlimmert sich täglich, und der Hunger breitet sich aus. Allein im Juli sind mindestens 63 Menschen an den Folgen von Mangelernährung gestorben, darunter 24 Kinder unter fünf Jahren. Viele weitere Menschen sind schwer mangelernährt und starben bereits auf dem Weg zur medizinischen Versorgung, was laut WHO hätte verhindert werden können. Die Blockade und Hinauszögerung dringend benötigter Nahrungsmittel-, Gesundheits- und humanitärer Hilfsgüter hat zahlreichen Menschen das Leben gekostet.
🔍 Hintergrund
Laut der “Internationalen Klassifizierung für Ernährungssicherheit” (IPC) befinden sich aktuell rund 470.000 Menschen im Gazastreifen in einer akuten Hungersnot.
Seit Anfang März 2025 verschärfte Israel die Blockade sämtlicher Hilfsgüter und begründete dies mit dem Druck auf die Terrororganisation Hamas die noch lebenden Geiseln freizulassen. Die Not der Bevölkerung wuchs massiv, während die versprochenen Lieferungen nicht in ausreichender Menge ankamen. Nach internationalem Druck wurde die Blockade im Mai zwar gelockert – jedoch blieb die Hilfe auch danach weit hinter dem eigentlichen Bedarf zurück.
Eine private Stiftung sollte später die Verteilung der knappen Güter organisieren, doch auch dieses Modell scheiterte: Über 1.000 Menschen kamen laut WHO allein seit Ende Mai ums Leben, als sie versuchten, an Nahrung zu gelangen – teils durch Gewalt an den Verteilzentren, teils wegen chaotischer Zustände. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet, dass dieser Verteilmechanismus für viele zur tödlichen Falle wird: “Wer zu früh kommt, wird beschossen. Wer bei zu großem Andrang über die Absperrung klettert – ebenfalls. Wer spät kommt, darf eigentlich gar nicht da sein”. Das System müsse “sofort abgeschafft werden” – einzig eine koordinierte Versorgung per Landweg könne Menschenleben schützen.
Seit dem Wochenende werden nun neben begrenzten LKW-Konvois erstmals wieder Lebensmittel per Luftabwurf verteilt sowie beschränkte Feuerpausen und humanitäre Korridore zugesagt. Das Problem: Diese Luftabwürfe sind laut Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen ineffizient und oft sogar gefährlich – immer wieder werden Menschen beim Versuch, die Pakete zu bergen, verletzt oder tödlich getroffen. “Airdrops wirken zynisch – es gäbe funktionierende Wege per LKW, aber die Blockaden müssen beendet werden,” kritisiert Ärzte ohne Grenzen. 180 LKWs mit Hilfsgütern sind nun am Montag eingefahren, was verglichen am Bedarf von 2,1 Millionen Menschen einem Tropfen auf den heißen Stein gleicht.
Besonders dramatisch: Die Preise für Lebensmittel sind laut Welternährungsprogramm seit Kriegsbeginn um mehr als 700% gestiegen. Viele Familien können sich fast nichts mehr leisten. Das Welternährungsprogramm schätzt, dass etwa ein Drittel der Gazaner*innen tagelang ohne Nahrung auskommen muss, Hunderttausende gelten als akut unterernährt.
🇪🇺 Wie reagiert die Welt?
Nach monatelanger Verzögerung wächst endlich internationaler Druck: Neben Frankreich und Großbritannien fordert Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz die sofortige Aufhebung aller Beschränkungen für Hilfslieferungen. Merz kündigte zudem an, zusammen mit Jordanien eine Luftbrücke nach Gaza einzurichten – unterstützt von Großbritannien und Frankreich. Die Hilfsflüge sollen “umgehend” beginnen, doch die Regierung bezeichnet das aktuelle Volumen selbst als “nur eine ganz kleine Hilfe”.
Die UN betonen, dass allein ein dauerhafter Waffenstillstand effektive Hilfe ermögliche. Bis dahin bleibt das Ausmaß der Katastrophe erschütternd: Über 5.000 Kinder wurden allein in den ersten zwei Wochen im Juli wegen Unterernährung behandelt, viele Zentren sind überfüllt, Treibstoff und Medikamente gehen aus, Krankheiten breiten sich aus.
‼️ Was bleibt
Hunger als Waffe: Die systematische Blockade von Nahrungsmitteln und Hilfslieferungen hat im Gazastreifen eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Die ersten zusätzlichen internationalen Hilfsmaßnahmen sind ein wichtiger Schritt – aber sie reichen bei Weitem nicht aus, um das Leid zu lindern. Es bedarf einer massiven und kontinuierlichen humanitären Unterstützung sowie politischem Druck auf alle Konfliktparteien, um einen sicheren Zugang für Hilfsorganisationen zu gewährleisten.
Zwei wichtige israelische Menschenrechtsorganisationen, B'Tselem und Physicians for Human Rights Israel, bezeichnen die Situation im Gazastreifen in aktuellen Berichten als Genozid. Beide dokumentieren seit Jahren Menschenrechtsverletzungen und kommen nun zu dem Schluss: Die wiederholten und systematischen Angriffe sowie das bewusste Herbeiführen katastrophaler Lebensbedingungen deuten auf eine gezielte Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung hin. Juristisch ist dieser Begriff international hoch umstritten – doch die Einschätzung zeigt die Dramatik aus menschenrechtlicher Sicht.
Die offizielle israelische Seite betont hingegen, dass militärische Maßnahmen dem Kampf gegen die Hamas dienen und verweist auf eigene Schutzbemühungen. Internationale Debatten um juristische Einordnungen und schwerwiegende Vorwürfe werden weiterhin kontrovers geführt.
In einem Bericht der Tagesschau schließt Yuli Novak, die Direktorin von B'Tselem, wie folgt: “Ich denke, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Frage, was ich angesichts dessen getan hätte, keine theoretische mehr ist. Hier sind wir also. Was bedeutet es, in einem solchen Moment Mensch zu sein? Seit fast zwei Jahren beobachten wir Regierungen, vor allem westliche, die Israel unterstützen, kooperieren und diesen Völkermord ermöglichen. Ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft könnte dieser Völkermord, wie jeder andere in der Geschichte, niemals stattfinden. Und sie stehen daneben und tun im Grunde nichts oder geben nur Lippenbekenntnisse ab, um ihn abzuwenden. Aber das geht weiter. Jeder sieht es. Niemand wird sagen können: 'Wir wussten es nicht'. Wir wissen es. Es geschieht jetzt, und es muss sofort gestoppt werden."
Ein Appell – der nicht nur an Regierungen, sondern auch an die globale Öffentlichkeit gerichtet ist.
🕵️♀️ Wir lesen uns am Donnerstag wieder – denn irgendwas passiert ja immer.
Eure Sally aka die Informantin 💜
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📚 Quellen:
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/gaza-hilfslieferungen-luft-106.html
https://www.who.int/news/item/27-07-2025-malnutrition-rates-reach-alarming-levels-in-gaza--who-warns
https://news.un.org/en/story/2025/07/1165504
https://edition.cnn.com/2025/07/23/middleeast/gaza-starving-killed-israel-while-seeking-aid-intl
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gazastreifen-ngo-vorwurf-voelkermord-102.html